Thema Schulter
Die Rotatorenmanschette: Motor und Bremse der Schulter
Prof. Dr. med. Markus Loew
31. Mai 2021
Drei Prozent aller medizinischen Behandlungen in Deutschland erfolgen aufgrund von Schulterbeschwerden. Gemessen an der Vielfalt aller Erkrankungen überhaupt ist das eine Menge. Davon sind etwa die Hälfte durch Probleme an der sogenannten Rotatorenmanschette verursacht. Was hat es damit auf sich?
Das Schultergelenk ist in der Tiefe von einer Muskelgruppe umgeben, die den Oberarmkopf wie eine Manschette umschließt und die eine wichtige Rolle sowohl bei der Bewegung als auch bei der Stabilisierung des Gelenkes spielt. Deshalb wird diese Muskelgruppe Rotatorenmanschette genannt. Die Sehnen der Rotatorenmanschette gleiten in einem engen knoöchernen Kanal zwischen Oberarmkopf und Schulterdach.
Diese Passage wird mit zunehmendem Lebensalter oder nach chronischer Überkopfbelastung immer enger – zum Beispiel bei handwerklich tätigen Menschen oder bei Tennisspielern, denn das häufige Heben des Armes in die Senkrechte verursacht Überlastung und Verschleiß der Sehnen. Kleine Knochenzacken, die nach unten auf die Sehnen drücken, führen zu einem Engpass (sogenanntes Impingement). Dieses Impingement kann zu einer Entzündung, später zu einer Zerfaserung und in fortgeschrittenen Fällen zum Durchscheuern oder Abreißen einzelner Sehnen der Rotatorenmanschette führen. Meistens ist zuerst die Supraspinatussehne betroffen, die an der engsten Stelle oberhalb des Gelenkes verläuft.
Krankheitserscheinungen der Rotatorenmanschette
Wenn nun ausgerechnet die Muskelgruppe beschädigt ist, die gleichermaßen für die Stabilität und die Beweglichkeit des Schultergelenks zuständig ist – dann hat das selbstverständlich massive Einschränkungen für den Patienten zur Folge: Durch Verschleiß bedingte Schäden an der Rotatorenmanschette, die ein Impingement verursachen, treten häufig in der sechsten Dekade des Lebens auf. Am Anfang der Beschwerden stehen
oft Schmerzen, ganz spontan oder im Anschluss an eine Überbelastung. Die Schmerzen treten zunächst bei Bewegungen auf und strahlen in den Oberarm aus, später können auch nächtliche Schmerzen hinzukommen. Im Verlauf tritt dann in einigen Fällen ein Kraftverlust ein, bevor allmählich die aktive Beweglichkeit immer schlechter wird.
Eine andere Schädigung der Rotatorenmanschette ist ein akuter Sehnenriss (Rotatorenmanschettenruptur), verursacht durch einen Sturz. Bemerkbar macht sich der Sehnenriss durch eine als Lähmung empfundene Störung des Schultergelenks – die sogenannte Scheinlähmung.
Diagnostik bei Problemen der Rotatorenmanschette
Ob Unfall oder Verschleiß, ob akute Verletzung oder schleichender Beginn: An erster Stelle für eine sichere Diagnostik steht die präzise und umfassende Untersuchung durch einen Facharzt der Orthopädie. Nur so lassen sich einfache Entzündungen von ernsthaften Veränderungen der Rotatorenmanschette unterscheiden. Im Röntgenbild kann zum Beispiel ein ausgeprägter knöcherner Engpass diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Erste Hinweise auf einen Sehnenriss wiederum erhält der Arzt durch eine Ultraschalluntersuchung. Und bei einem dringenden Verdacht bestätigt die Kernspintomographie (MRT) das Ausmaß des Schadens (Abb. 1).
Behandlung bei Beschwerden mit der Rotatorenmanschette
Besonders bei älteren Menschen mit verschleißbedingten Beschwerden an der Schulter führt in den meisten Fällen eine kurzfristige Schonung mit anschließender mehrwöchiger Physiotherapie zu einer Rückbildung der Beschwerden. Auch eine Cortisonspritze unter das Schulterdach kann nachhaltig zu einer Linderung der Schmerzen führen.
Bei einem unvollständigen Sehnenriss kann die Injektion von eigenem Blutplasma (ACP, autologes conditioniertes Plasma), das die körpereigenen Abwehr-, Heilungs- und Wachstumsfaktoren in einer hohen Konzentration enthält, zu einer spontanen Heilung und damit zur Vermeidung einer Operation führen.
Bei einem nachgewiesenem Sehnenschaden sollte aber spätestens nach sechs Monaten eine Operation in Erwägung gezogen werden, beim Auftreten von Bewegungseinschränkungen und vor allem beim jüngeren und aktiven Menschen auch schon früher. Sie hat das Ziel, die geschädigte Sehne zu reparieren und den Engpass unter dem Schulterdach zu erweitern.
Wenn zu lange abgewartet wird, kann es nämlich sein, dass der Schaden durch den Operateur nicht mehr zur rekonstruieren ist. Nicht zu vergessen, dass permanente Schmerzen auch chronisch werden können und ihre Ursache allein daher schnellstmöglich beseitigt werden sollte – und dass Muskeln degenerieren, wenn sie nicht in Gebrauch sind.
Operation einer Rotatorenmanschettenruptur
Der Eingriff wird heute in den allermeisten Fällen arthroskopisch, das heißt minimalinvasiv in „Schlüssellochtechnik“ durchgeführt. Dabei wird die Knochenkante des Schulterdachs abgefräst, um die knöcherne Passage für die Rotatorenmanschette zu erweitern. Anschließend werden die gerissenen Sehnen mit kleinen Fadenankern wieder am Knochen befestigt, wo sie dann in den nächsten Wochen wieder anheilen sollen (Abb. 2).
Rehabiliation der Rotatorenmanschette
Die Behandlung nach einer chirurgischen Sehnennaht ist zeitaufwendig und setzt Verständnis und Mitarbeit des operierten Patienten voraus. Je nachdem, wie groß der Riss war, ist eine aktive Ruhigstellung in einem Schulterkissen über drei bis sechs Wochen notwendig. Um zu verhindern, dass die Sehne wieder abreißt, darf das Kissen in dieser Phase nur zur Krankengymnastik und zur Körperpflege abgelegt werden. Der Aufenthalt im Krankenhaus nach einem solchen Eingriff dauert im Regelfall zwei bis drei Tage, an denen eine Schmerztherapie erfolgt und der Operierte lernt, wie er in den nächsten Wochen mit dem Arm umgehen wird.
Die Physiotherapie zuhause erfolgt dann nach einem festen Schema über einen Zeitraum von etwa drei Monaten. Arbeitsunfähigkeit besteht in Abhängigkeit von der beruflichen Belastung bei normalem Verlauf über 6-12 Wochen.
Ergebnisse und Risiken
In über 80 Prozent der Fälle führt die Operation zum Erfolg, das heißt zu einer schmerzfreien und voll belastbaren Schulter. Fehlschläge sind vielfach auf eine verspätete Operation bei sehr ausgedehnten Schäden zurückzuführen.
In diesen Fällen kann es dazu kommen, dass die Sehnen im Verlauf nach der Operation wieder abreißen. Komplikationen der Operation wie Schädigung von Nerven- oder Blutgefäßen oder eine gefürchtete Gelenkinfektion sind mit einem Vorkommen von unter einem Prozent selten.
Fazit
Wenn Schulterschmerzen über sechs Wochen bestehen, sollte man auf jeden Fall eine detaillierte Untersuchung durch einen Orthopäden vornehmen lassen.
Bei dem Verdacht, dass ein Impingement zu einem Schaden an der Rotatorenmanschette geführt hat, sichert eine Kernspintomographie die Diagnose. Bei einem nachgewiesenen Sehnenriss sollte spätestens nach sechs Monaten, bei jungen und aktiven Patienten besser noch früher eine Operation in Erwägung gezogen werden. Denn es gilt: Je kleiner der Schaden, desto größer die Chance auf eine wieder ungebremst bewegliche Schulter.