Thema Schulter
Der Schulterpapst der Republik
12. September 2022
Für Ärzte wie Prof. Dr. Peter Habermeyer ist der Begriff der Koryphäe mit gutem Gewissen zutreffend. Auf dem Gebiet der Schulterchirurgie ist er in vielerlei Hinsicht Vorreiter und Erfinder. Sportler und Prominente aus aller Welt haben sich von ihm behandeln und heilen lassen. Dazu zählen so illustre Personen wie die Brüder Klitschko, Tennisstar Goran Ivanisievic oder auch Rudi Völler. Prof. Dr. Habermeyer wird in der Focus Ärzteliste regelmäßig als Top-Mediziner im Bereich der Schulterchirurgie geführt. Sein Lehrbuch zur Schulterchirurgie gilt als Standardwerk im deutschsprachigen Raum. Prof. Dr. Habermeyer verfügt heute über eine immense chirurgische Erfahrung mit über 20.000 schulterchirurgischen Operationen, davon über 3.000 Schulterprothesen. Seit 2020 ist er mit eigenem Schulterzentrum in München vertreten. Er operiert an der ATOS Klinik München und der Schön Klinik Bad Aibling. Wir haben uns zu einem kurzen Gespräch über typische Diagnosen und aktuelle Behandlungsmethoden getroffen.
Interview
Sie blicken auf jahrzehntelange Erfahrungen zurück und haben im Laufe dieser Zeit Operationsmethoden neu- und weiterentwickelt. Wie haben sich die Medizin und die OP-Techniken für einen Chirurgen im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Prof. Dr. Habermeyer: In der Medizin gilt ein Lehrbuch nach sieben Jahren als veraltet. Nach fünf Jahren hat sich das Fachwissen in etwa verdoppelt. Nicht nur die OP-Techniken, sondern auch die verwendeten Instrumente, Materialien und Implantate werden ständig weiterentwickelt. Früher hat man für die Planung von Schulterprothesen nur einfache Röntgenbilder gebraucht, später kamen Kernspin und CT hinzu. Die heutige OP-Planung basiert auf einer virtuellen dreidimensionalen Computeranalyse, bei der die Lage und Positionierung des Implantates exakt vorberechnet werden. Bei der Operation kommen individuell angepasste Mess- und Navigationsinstrumente zum Einsatz, die dem Operateur genau die Richtung vorgeben.
Sie sprechen die moderneren Apparaturen an. Wo glauben Sie, steht die OP-Technik in 15 Jahren? Glauben Sie daran, dass Ärzte dann sogar per IT-Anbindung ferngesteuert von zu Hause aus operieren können?
Prof. Dr. Habermeyer: Von zu Hause aus gerade nicht, aber aus der OP-Kabine neben dem Operationssaal, in der der Computer und die Monitore stehen. Im Notfall kann der Chirurg dann immer noch selbst eingreifen.
Durch beständig steigende Lebenserwartungen werden immer mehr Menschen im Laufe ihres Lebens auf Gelenkersatz angewiesen sein. Wie hat sich die Schulter-Endoprothetik in den letzten Jahren verändert und wie sieht Ihrer Meinung nach ein Gelenkersatz der Zukunft aus?
Prof. Dr. Habermeyer: Zuerst möchte ich vorausschicken, warum die Schultergelenke im Alter einem Verschleiß unterliegen. Ähnlich wie am Knie oder an der Hüfte gibt es auch an der Schulter eine Arthrose, im Medizinerdeutsch Omarthrose genannt. Diese ist jedoch mit etwa 4% viel seltener als an der Hüfte. Aber im Alter kommt es zum Verschleiß der Rotatorenmanschette, einer Muskelgruppe, welche den Oberarmkopf im Schultergelenk muskulär zusammenhält. Ein heute 70-Jähriger erleidet mit einer Wahrscheinlichkeit von 30%, dass sich seine Rotatorenmanschette verschleißt. Wird diese nicht operiert, entsteht eine sekundäre Arthrose, auch Defektathropathie genannt. Das tritt bei 5% bis 10% der Patienten ein, die dann eine Prothese benötigen.
Bei den Omarthrosen werden analog zum Hüftgelenk der arthrotische Oberarmkopf und die Gelenkpfanne ausgetauscht. Heute kommen nur noch schaftfreie Kopfprothesen und mit Polyethylen beschichtete Pfannen zum Einsatz.
Bei den Defektarthropathien, den sekundären Arthrosen, können diese Prothesen nicht verwendet werden, da die Rotatorenmanschette kaputt ist. Deswegen werden sogenannte inverse Prothesen eingesetzt. Dabei wird auf die Pfannenseite ein halber Kugelkopf implantiert und im Bereich des Oberarmkopfes eine Gelenkpfanne eingelassen, die wiederum über einen Schaft im Oberarm implantiert wird. Technisch handelt es sich dabei um ein halb kugeliges Scharniergelenk. Damit können die Patienten wieder schmerzfrei nahezu uneingeschränkt ihren Arm bewegen. Ich habe Patienten operiert, die mit einer inversen Prothese wieder einstellig Golf spielen.
Der Gelenkersatz der Zukunft geht in Richtung Minimierung der Implantate mit neuen Materialien, die nicht so schnell verschleißen, wie beispielsweise Polyethylen, z. B. mit Keramik.
Im Sport haben wir es häufig mit typischen Überlastungs- und Altersschäden der Schulter zu tun. Können Sie uns nachfolgend einen aktuellen Überblick der gängigsten Beschwerden nach Symptom, Diagnose und Behandlungsform geben?
Prof. Dr. Habermeyer: Am häufigsten ist ein vorderer Schulterschmerz, bei dem der Schmerz entlang der langen Bizepssehne nach unten zieht und oft mit einem „Schnappen“ einhergeht. Dahinter versteckt sich ein Verschleiß der langen Bizepssehne und ihres Haltemechanismus (fachlich „Pulley Läsion“ genant). Es kommt zum Einriss und zur starken Entzündung der Sehne.
Oft gehen damit Einrisse der Supraspinatussehne einher, meist als chronische degenerative Schädigung. Neben den Schmerzen klagt der Patient nun über eine Schwäche im Arm, insbesondere beim Anheben über die Horizontale. Ähnliche Beschwerden mit Ausstrahlung in den Oberarm entstehen beim sogenannten Impingement-Syndrom.
Was ist das genau?
Prof. Dr. Habermeyer: Schulterschmerzen, die auf eine anatomische Engstellung zwischen Schulterdach und Oberarmkopf zurückzuführen sind, werden als Impingement-Syndrom bezeichnet. Das Impingement-Syndrom wird auch Engpass-Syndrom genannt. Dabei kommt es zu einer Verengung des Raums unter dem Schulterdach, sodass die von der Rotatorenmanschette gesteuerten Sehnen einschließlich der langen Bizepssehne nicht mehr problemlos durch diese Engstelle gleiten können. Bei jedem Anheben des Arms werden die Sehnen und der Schleimbeutel gereizt oder sogar kurzfristig eingeklemmt. Das Einklemmen bzw. die Reibung wird als Impingement bezeichnet.
Das hatte ich auch schon einmal. Wie diagnostiziert man es?
Prof. Dr. Habermeyer: Typischerweise manifestiert sich das Impingement-Syndrom in einem bohrenden Schmerz, wenn der Patient z. B. länger im Auto das Lenkrad hält oder versucht, vom Rücksitz eine Tasche nach vorne zu holen. Herausnehmen eines schweren Aktenordners aus dem Regal oder einen Handkoffer im Flugzeug in das Staufach zu heben, sind typische Schmerzauslöser. Eine Diagnose des Impingement-Syndroms inkl. Reizung des Schleimbeutels (Bursitis) und der Sehnen (Tendinitis) lässt sich anhand der klinischen Untersuchung und mit dem Röntgenverfahren bestätigen. Zur Beurteilung der Weichteile wird das Ultraschallverfahren oder die Kernspintomografie herangezogen.
Wie lässt es sich behandeln?
Prof. Dr. Habermeyer: In der Regel lässt sich das Impingement-Syndrom mit konservativen Maßnahmen sehr gut behandeln. Die Einnahme von entzündungshemmenden Schmerzmitteln in Kombination mit Schonung und kühlenden Maßnahmen sorgen für eine Beruhigung der Reizungen im Gelenk. Hinzu kommt als wesentliche Therapie die Kräftigung der Rotatorenmanschette durch den Physiotherapeuten*in. Durch Kräftigungsübungen wird der Oberarmkopf besser zentriert, wodurch der Raum über den Sehnen wieder geweitet wird und keine Reibung mehr entsteht. Bei starker Schmerzbildung kann eine Injektionstherapie mit Kortison Linderung bringen. Ein operativer Eingriff zur Behebung des Impingement-Syndroms wird heutzutage in einem minimal-invasiven Verfahren durchgeführt. Die Korrektur erfolgt mit speziellen, dünnen Instrumenten, die über kleine Hautschnitte eingebracht werden. Dabei wird das zu enge Schulterdach abgefräst und der Raum für die darunter verlaufende Sehne wieder erweitert.
Und die weiteren Diagnosen, die Sportler betreffen?
Prof. Dr. Habermeyer: Das ist eine Mischung. Zum einen spielt die Rotatorenmanschette eine große Rolle. Deren reibungslose Funktion ist die Voraussetzung für ein gesundes Schultergelenk. In der Rotatorenmanschette sind vier Muskeln und ihre Sehnen haubenförmig am Oberarmkopf vereinigt. Die an den Muskeln der Rotatorenmanschette angesetzten Sehnen sind dem Verschleiß besonders ausgesetzt. Hinzu kommt die lange Bizepssehne, die zwischen der Supraspinatussehne und der Subscapularissehne synchron verläuft. Ein Sehnenriss ist sehr schmerzhaft und führt zu einer Schwächung der Schulter. Risse der Rotatorenmanschette können in jedem Alter auftreten, allerdings ist die Personengruppe 50+ häufiger von einer Ruptur betroffen. In einer Sehne der Rotatorenmanschette können sich auch Kalkdepots bilden, die wiederum zu Entzündungen der Sehne und der Schleimbeutel führen. Zudem können diese auch ein Engpass-Syndrom verstärken. Daher meinte ich, dass es eine „Mischung“ sei.
Also verstehe ich Sie richtig, dass in der Schulter verschiedene Probleme zusammenkommen können und es gar nicht die eine klare Schmerzdiagnose gibt?
Prof. Dr. Habermeyer: Das ist korrekt. An der Schulter ist eine Diagnose von außen nicht immer direkt ersichtlich, daher nutzen wir bildgebende Verfahren sehr präzise. Ebenso verhält es sich bei den Behandlungsarten. Eine Vielzahl der Beschwerden wird immer zunächst konservativ behandelt. Die operative Therapie wird in Erwägung gezogen, wenn die konservativen Maßnahmen nicht oder nicht in ausreichendem Maß zu der erwünschten Beschwerdefreiheit führen. In den allermeisten Fällen wird der Eingriff in einem minimal-invasiven Verfahren in Form der Arthroskopie durchgeführt. Dabei wird bspw. ein entzündeter Schleimbeutel oder ein Kalkdepot mittels der sogenannten Schlüssellochoperation minimal-invasiv vollständig entfernt. Bei solch kleinen Routineeingriffen wird die Schulter höchstens für ein bis zwei Tage ruhiggestellt.
Besten Dank für Ihre Ausführungen!