Thema Schulter
Schulterluxation – Wenn das Gelenk auskugelt
Dr. med. Andreas Klonz
31. Mai 2021
Das Schultergelenk wird fast ausschließlich durch die umgebenden Weichteile stabilisiert. Andere Gelenke wie Hüfte oder Ellenbogen sind dagegen auch von anderen Knochen als Gegenpart gestützt (knöcherne Kongruenz) und haben allein dadurch eine hohe Stabilität. Die Schulter kugelt deshalb vergleichsweise leicht und häufig aus – man sagt, sie „luxiert“. Wie kommt es dazu, und wie kann man eine ausgekugelte Schulter behandeln?
Dass eine Schulter auskugelt – so denkt man erst einmal – ist in der Regel die Folge eines Unfalls. Das ist auch nicht ganz falsch. Fast immer luxiert die Schulter dabei nach vorne. Es gibt aber auch Luxationen nach hinten und Menschen, die ihre Schulter in mehrere Richtungen auskugeln.
Willentliches Auskugeln
Manche Menschen haben schon von Geburt her allgemein sehr mobile Gelenke, so dass die Schulter sehr leicht herausspringen kann. Einige Menschen können die Schulter sogar willentlich aus- und einrenken. Bei dieser angeborenen – man sagt auch „habituellen“ – Schulterinstabilität entstehen akut relativ selten Verletzungen der Bindegewebs-, Muskel- und Sehnenstrukturen. Langfristig können aber vermehrt Beschwerden und auch eine Arthrose entstehen.
Unfall-Verletzungen an der Schulter
In anderen Fällen führt ein Unfall (Trauma) zum Auskugeln der Schulter. Dazu sind größere Kräfte – meist Hebelkräfte – erforderlich, wie zum Beispiel bei Stürzen. In diesen traumatischen Fällen kommt es fast immer zu Verletzungen der das Schultergelenk stabilisierenden Strukturen.
Die Schulter muss in jedem Fall fachmännisch und rasch wieder eingerenkt werden. Wenn die Schulter schon oft – wie wir Ärzte das salopp nennen – draußen war, können einige Patienten die Schulter auch selbst wieder einkugeln. Dies ist immer ein Zeichen für eine erhebliche Instabilität des Gelenkes und sollte unbedingt behandelt werden.
Bei älteren Menschen kommt es bei Unfällen mit Schulterluxation meist zusätzlich zu Knochenbrüchen oder Rissen der Sehnen der Rotatorenmanschette (siehe Beitrag von Prof. Loew in dieser Ausgabe). Bei jüngeren Patienten reißt bei der unfallbedingten Luxation in den allermeisten Fällen die vordere Gelenklippe (das Labrum) ab. Von dieser Gelenklippe entspringen auch die vorderen Bänder und die Gelenkkapsel. Die Strukturen verwachsen dann in Fehlposition und erfüllen danach nicht mehr ihre stabilisierende Funktion.
Zum Verständnis der Beschreibungen hilft Ihnen die Grafik „Die Anatomie der Schulter“, die Sie auf Seite 12 im Heft finden.
Konservative Behandlung der Schulterluxation
Die angeborene Instabilität wird fast ausnahmslos konservativ ohne Operation behandelt, das heißt mit Krankengymnastik, Verhaltens- und Koordinationstraining sowie langfristig eigenen Übungen.
Bei Patienten, die ihr Schultergelenk willentlich auskugeln, ist das Verhaltenstraining enorm wichtig, da das willentliche Auskugeln oft auch zu einer krankhaften Angewohnheit wird, die man sich über viele Wochen bewusst abgewöhnen muss.
Vermeiden von Schonhaltungen, das heißt bewusstes, aktives und geführtes Nutzen des Schultergelenks bei Alltagstätigkeiten sowie sportliche Aktivitäten wirken sich positiv auf die Genesung nach einer Schulterluxation aus. Sportarten wie Schwimmen und gezieltes Krafttraining sind ideal.
Beim unfallbedingten Auskugeln (Luxation) der Schulter entsteht durch die Schädigung der Gelenklippe und der anderen stabilisierenden Strukturen ein erhöhtes Risiko, dass die Schulter immer wieder herausspringt. Das Risiko ist vor allem abhängig vom Alter und von den Aktivitäten der verletzten Person, sowie vom Ausmaß der Schädigung der Strukturen.
In diesen Fällen besteht die Möglichkeit einer operativen Stabilisierung
Bei unfallbedingtem Auskugeln der Schulter geht in der Regel kein Weg an einer Operation vorbei. In unserer Praxis, der Sportchirurgie Heidelberg, werden die meisten Schultern arthroskopisch, also minimal-invasiv operiert. Nur wenn ein ausgeprägter Knochenverlust durch mehrfache Verrenkungen entstanden ist, sind größere Maßnahmen mit Knochenaufbau erforderlich.
Bei der arthroskopischen Operation wird die vordere Gelenklippe mit Knochenankern wieder an der Gelenkpfanne befestigt.
Die anhängenden Bänder und die Gelenkkapsel werden dabei ebenfalls wieder gestrafft (s. Abb. 1)
Falls die Schulter schon sehr oft ausgekugelt ist und sehr leicht herausspringt, ist meist bereits ein Defekt am knöchernen Pfannenrand eingetreten. In diesem Fall müssen wir auf eine andere OP-Technik ausweichen und den Knochen wieder aufbauen (sog. Korakoidtransfer/Latarjet- OP). Hierbei wird mit Hilfe einer Versetzung eines Knochens aus der unmittelbaren Nähe der Knochen wieder aufgebaut.
Der Knochen des sogenannten Rabenschnabelfortsatzes (auch Korakoid) wird mit einer Schraube an die Gelenkpfanne gesetzt und verhindert, dass die Schulter nach vorne springen kann.
Nachbehandlung
Nach einer solchen Operation muss die Gelenklippe am Knochen wieder anwachsen. Deshalb wird die Schulter für ca. 3 Wochen auf einem Kissen ruhiggestellt. Es erfolgt etwas Krankengymnastik, um die Beweglichkeit zu erhalten.
Autofahren ist nach ca. 4-5 Wochen wieder möglich. Joggen und Fahrradfahren sind nach ca. 7-8 Wochen erlaubt, Überkopfsport und Kontaktsport wie Handball, Tennis, Fußball oder Rugby nach 5-6 Monaten.